Korruption in der Slowakei: Des Ostens wilder Westen

An einem heißen Julitag des Jahres 2015 sitzt der Bauer Juraj Beres mit einem seiner Söhne auf der Terasse einer Raststätte an der E58 in der Ostslowakei, unweit des Dorfes Orechová. Er blickt über die Weizenfelder ringsumher. Plötzlich sieht er, wie ein Mähdrescher den Weizen erntet. Seinen Weizen. Auf seinem Pachtland.

Beres und sein Sohn steigen in ihren Jeep und fahren hin. Als sie ankommen, stellen sich ihnen bewaffnete Securityleute in den Weg und schlagen Beres nieder. Sein Sohn, der vorher vorsichtshalber die Videokamera seines Smartphones eingeschaltet und alles gefilmt hat, ruft einen Notarztwagen. Der bringt den Vater mit Platzwunden am Kopf ins Krankenhaus.

Später erfährt der 59-jährige Bauer, dass ihm sein vom Staat gepachtetes Land nicht mehr gehört, insgesamt 880 Hektar. Inklusive dessen, was er im Vorjahr darauf angebaut hat, Weizen und Raps. Angeblich hat Beres die Fristen zur Verlängerung einiger Pachtverträge beim Slowakischen Landfonds (SPF) nicht eingehalten. Doch selbst Verträge, die bis ins Jahr 2029 laufen, hat der SPF annulliert und das Land einem Unternehmer verpachtet, der Geschäftspartner einer mächtigen Lokalpolitikerin ist.

Für den Bauern beginnt nun eine Odyssee, die bis heute andauert. Und er ist nicht allein. Um die zwei Dutzend Landwirte in der Ostslowakei haben ähnliches erlebt wie Beres, die Dunkelziffer derer, die aus Angst bisher nicht geredet haben, könnte noch weitaus höher sein. Es geht um Landraub in großem Stil, mithilfe von juristischen Tricks, Betrug und Gewalt, begangen von slowakischen Politiker-Netzwerken und ihren Firmen, die die lukrativen Agrarsubventionen der EU kassieren wollen. Geschichten, die wirken wie Wild-West-Szenarien. Nicht wie etwas, dass sich hier und heute in einem EU-Land zuträgt.

Beres erzählt mit monotoner Stimme von seinem seit drei Jahren dauernden Kampf um seinen Landwirtschaftsbetrieb und um sein Pachtland, von endlosen Beschwerden und von schikanösen Behördenkontrollen, mit denen er überzogen wird. Seine Miene ist steinern. Beres hat das Lächeln verlernt. Er findet kaum Worte für seine Verbitterung. „Was ist das für ein Land“, fragt er leise, „das uns rechtschaffene Bauern nicht vor der Mafia schützt?!“

Lange Zeit hat den Bauern aus der Ostslowakei kaum jemand ihre Geschichten geglaubt. Es war tragischerweise erst der Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak Ende Februar, der vielen Affären von politischer Korruption und organisierter Kriminalität zu landesweiter Aufmerksamkeit verhalf. Im Falle des „Landraub-Problems“ geben inzwischen sogar hochrangige slowakische Beamte wie etwa der Generalstaatsanwalt Jaromír Ciznár zu, dass es existiert. Der Staatspräsident Andrej Kiska hat eine Delegation der Bauern vor einigen Wochen empfangen und die Regierung aufgerufen, ihre Fälle zu klären.

Gegen eine ehemalige Parlamentarierin, die eine zentrale Figur dieser Affäre ist, wird seit einigen Wochen ermittelt: Lubica Roskova, bis 2016 Abgeordnete der slowakischen Regierungspartei Smer, Beiname „Gräfin des Semplin“. In der Region Semplin im äußersten Osten der Slowakei soll sie in großem Stil widerrechtlich EU-Agrarsubventionen kassiert haben, über ein Firmennetzwerk und befreundete Geschäftsleute sowie mithilfe von korrupten Beamten. Auf Anfrage des SPIEGEL dazu reagiert sie nicht, auch eine Anfrage des SPIEGEL an den slowakischen Landfonds zum Problem des Landraubs und der Subventionsbetrügereien bleibt unbeantwortet.

Wer in diesen Tagen zu politischer Korruption und organisierter Kriminalität in der Slowakei recherchiert, findet ein Land vor, in dem es an solchen und ähnlichen Geschichten nicht zu mangeln scheint. Ein Land, das viele seiner Bürger halb empört und halb resigniert einen „Mafiastaat“ nennen. Die Dimensionen der Affären, auf die man stößt, sind mal kleiner, mal größer, doch insgesamt ergibt sich ein Bild, das illustriert, was der Staatspräsident Andrej Kiska meinte, als er Ende Februar, kurz nach dem Mord an Ján Kuciak feststellte: „Etwas Schlechtes ist unter der Oberfläche, etwas Schlechtes ist in den Grundfesten unseres Staates.“

Ein schwerwiegender Satz aus dem Munde eines Staatspräsidenten. Iveta Latková würde ihn unterschreiben. Obwohl sie Polizeibeamtin ist. Und als solche ganz besonders Vertrauen in den Staat haben müsste, für den sie arbeitet.

Die 47-Jährige wohnt in der nordwestslowakischen Kleinstadt Cadca, zusammen mit ihrem Mann Jozef Látka, 56, der als Maschinenbauingenieur arbeitet. Die Eheleute haben jahrelang einen „David-gegen-Goliath“-Kampf geführt. Sie beide gegen die mächtige staatliche Autobahngesellschaft NDS.

Es geht um die 60 Kilometer lange slowakische Autobahn D3 im Nordwesten des Landes, eine wichtige Transitstrecke zwischen der Slowakei und Polen. Seit über zwei Jahrzehnten wird an der D3 gewerkelt, jahrelang erstreckten sich mehrere Abschnitte als nicht befahrbare Beton-Ungetüme über die Landschaft, bis heute sind erst 35 Kilometer fertig gestellt. Inzwischen gilt die D3 als eine der teuersten Autobahnen Europas und als in hohem Maße korruptionsverdächtiges Projekt.

Ein Streckenabschnitt verläuft durch das idyllisch zwischen Bergen gelegene 25.000-Einwohner-Städtchen Cadca. Gegen diese Trassenführung protestierte 2007 eine örtliche Bürgerinitiative von Betroffenen – ohne Erfolg. Jozef Látka war damals ihr Sprecher, denn die Autobahn sollte direkt am Haus und Grundstück der Familie vorbeiführen. Látka behauptet, es habe eine billigere und bessere Variante um die Stadt gegeben. Doch entlang der jetzigen Streckenführung hätten örtliche Politiker Grundstücke und Immobilien besessen und für sie hohe Entschädigungen kassieren wollen.

Beweisen lässt sich das nicht. Aber Cadca ist ein in der Slowakei bekanntes Beispiel für lokale Korruption – unter anderem wurde 2008 ein ehemaliger Bürgermeister des Ortes in einer Bestechungsaffäre zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Fest steht, dass die Autobahngesellschaft für großenteils identische Grundstückslagen und Immobilien teilweise stark voneinander abweichende Entschädigungen zahlte. Den Látkas etwa wurden für ihr Haus mit 105 Quadratmetern Wohnfläche und 1300 Quadratmeter Grundstück 260.000 Euro Entschädigung gezahlt, das Gutachten dazu war, wie sich im Nachhinein herausstellte, fehlerhaft. Ein Nachbar mit kleinerem Haus und Grundstück erhielt 350.000 Euro. Die Látkas fordern anhand eines neuen Gutachtens weitere 185.000 Euro.

Doch die Autobahngesellschaft zieht den Rechtsstreit hin. Auf Anfrage des SPIEGEL bestreitet die NDS den Rechtsanspruch der Familie, detaillierte Nachfragen, etwa zu Korruptionsvorwürfen, lässt sie unbeantwortet. „Sie wollen wohl Rache an uns nehmen, weil wir damals die Bürgerinitiative angeführt haben“, mutmaßen die Látkas. „Außerdem brauchen sie einen Sündenbock und ein Alibi dafür, dass die Autobahn nach so langer Zeit immer noch nicht fertig ist.“ Die Látkas sind verzweifelt und müde. „Dies ist ein ungerechtes Land“, sagen sie. „Hier hat ein einfacher Bürger keine Chance, zu seinem Recht zu kommen.“

Bei dem Ehepaar stapeln sich die Akten zu dem Fall. Im Klein-Klein des Rechtsstreits schrumpfen seine Dimensionen schnell. Und doch scheint es nicht ungefährlich für slowakische Journalisten zu sein, sich mit einem Fall wie dem der Látkas zu beschäftigen. Ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTVS präsentierte das Thema letztes Jahr in einer Fernsehsendung. Offenbar wurde er daraufhin eingeschüchtert. Er selbst möchte sich dazu nicht äußern und möchte auch nicht, dass sein Name genannt wird.

Wie es für slowakische Journalisten enden kann, wenn sie in Fällen von politischer Korruption und organisierter Kriminalität recherchieren, ist spätestens seit dem Mord an Ján Kuciak auch international bekannt.

Eine Ahnung von dem Milieu, um das es bei vielen dieser Recherchen geht, bekommt man bei einem Treffen mit den Geschäftsleuten Stanislav Ziaran und Pavol Foris.

Ziaran, 42, ein Mann mit einer furchteinflößenden Bodybuilderfigur, ist in den Neunzigerjahren mit Immobiliengeschäften zu einigem Reichtum gekommen. Sein Geschäftspartner Foris, 48, war früher Mitarbeiter des Geheimdienstes SIS. Die beiden hatten Kontakt zu Ján Kuciak, Ziaran zeigt seine lange WhatsApp-Konversation mit dem Journalisten. Mit dem SPIEGEL wollen die beiden sprechen, weil sie noch einige Rechnungen mit slowakischen Oligarchen offen haben.

Ziaran hat einige Zehntausend Euro in Wohnungen eines Luxusapartment-Komplexes in Bratislava investiert, die zu den Spekulationsobjekten zweier bekannter slowakischer Oligarchen gehören, Ladislav Basternák und Marián Kocner – und dabei Teile seines Geldes verloren. Basternák und Kocner stehen unter Betrugsverdacht, Kocner sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft.

Außerdem sind Ziaran und Foris Eigentümer eines ukrainischen Fleischverarbeitungsbetriebes, dem ein Unternehmen der slowakischen Holding Penta Investments mehrere Hunderttausend Euro schuldet. Die Haupteigentümer von Penta sollen für die sogenannte „Gorilla-Affäre“ mitverantwortlich sein, einen der größten Bestechungsskandale in der Slowakei, in den ein Gutteil der politischen Elite verwickelt sein soll. Bewiesen und juristisch geklärt sind die Vorwürfe gegen Penta jedoch nicht, die Beteiligten bestreiten sie.

Ziaran und Foris haben ihr Büro in einem Apartment einer teuren neuen Wohnsiedlung im Norden von Bratislava. Mitten im Raum baumelt von der Decke an einem Faden eine Pappfigur in einem Gefängniskäfig, ins Gesicht geklebt ist das Foto eines bekannten und umstrittenen slowakischen Geschäftsmannes.

An den Wänden hängen mehrere Quadratmeter große Schaubilder, auf denen schematisch bis ins Detail die ominösen Immobiliengeschäfte von Basternák und Kocner dargestellt sind.

Die Lebensläufe der beiden Geschäftsleute klingen abenteuerlich. Ziaran sagt, er habe in den „wilden Neunzigern“ die Expansion großer westlicher Discounter in der Slowakei mit arrangiert; er habe unter anderem Grundstücke organisiert und dabei gut verdient. Foris behauptet, er habe die letzten Jahre die meiste Zeit in Libyen verbracht, er sei dort auf der Flucht vor seinen früheren Chefs im slowakischen Geheimdienst SIS gewesen. Noch immer wolle man ihn umbringen.

„Man muss die kriminellen Aktivitäten von slowakischen Oligarchen offenlegen und in diesem Land für Recht und Ordnung sorgen“, sagt Ziaran.

Im Luftzug, der durch das Balkonfenster hereinweht, baumelt die Pappfigur hin und her.

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